Mittwoch, Januar 11, 2006

Lange Wartelisten für Transplantationen fordern Opfer

Lange Wartelisten für Transplantationen fordern Opfer
Chirurgen rufen zu größerer Organspendebereitschaft auf

Berlin - Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh) fordert wirksamere Konzepte, die bei der Bevölkerung die Bereitschaft Organe zu spenden erhöhen sollen. Die DGCh appelliert auch an die Politik, diese Forderungen aktiv zu unterstützen. Lebendspenden sollten eine Notlösung bleiben. Sinnvoller sei es, die Bereitschaft zur postmortalen Spende - der Organspende nach Hirntod - bundesweit abzufragen. Bislang werden in Deutschland jährlich im Schnitt nur 13 Organspender pro eine Million Einwohner registriert. In Spanien oder Österreich, wo es andere gesetzliche Regelungen gibt, sind es etwa doppelt so viele.

"Die Unterstützung der Politik ist hierbei von eklatanter Wichtigkeit", betont Professor Dr. med. Ernst Klar, Leiter der Abteilung für Allgemeine, Thorax-, Gefäß- und Transplantationschirurgie an der Universität Rostock, der die letzte Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft leitete. So könne hierzulande ein Beispiel aus Amerika Schule machen: In Wisconsin analysierten junge Ärzte Krankenhäuser mit hoher Spenderfrequenz und übertrugen deren System auf andere Kliniken. Maßgeblich für den Erfolg dieses Konzeptes war unter anderem der Einsatz des Gouverneurs: Er engagierte sich persönlich für Organspenden und ließ sich regelmäßig über das Projekt berichten.

Im Jahr 2004 starb in Deutschland infolge mangelnder Organverfügbarkeit jeder fünfte Patient, der auf der Warteliste für die Transplantation einer Leber stand. Von den Patienten, die auf ein Spenderherz warteten, starb sogar jeder zweite. Als Grund nannte Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, Generalsekretär der DGCh, dass zu wenige Menschen sich zu Lebzeiten zur postmortalen Organspende bereit erklären und dies auch in einem Organspendeausweis dokumentieren. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende nach dem Hirntod eines möglichen Spenders wird dann in einer emotional ohnehin sehr belasteten Situation den Angehörigen zugemutet.

Diesbezüglich müsse unsere Gesellschaft wachgerüttelt werden, so Professor Klar: "Die meisten Menschen fordern - zu Recht - im Krankheitsfall Spitzenmedizin einschließlich der Transplantation eines Organs zur rechten Zeit". Damit dies jedoch möglich werde, sollte jedes Mitglied der Solidargemeinschaft aufgerufen sein, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. Dies könne etwa mit Hilfe der persönlichen Gesundheitskarte geschehen, die im Jahr 2006 europaweit eingeführt wird. "Müsste jeder sein 'Ja' oder 'Nein' zur Organspende auf dieser Chipkarte dokumentieren, ließe sich die positive Entscheidung zur Organspende um schätzungsweise 20 Prozent erhöhen", sagt Chirurg Klar. Vor allem würde auch der Druck von den Angehörigen genommen, über diese Frage entscheiden zu müssen.

Vorbildfunktion hat in Deutschland zurzeit Mecklenburg-Vorpommern mit 36,5 Organspendern pro Million Einwohner. Dies beruht auf einem schlüssigen Gesamtkonzept: Jedes Krankenhaus mit Intensivstation benennt Transplantationsbeauftragte. Sie kümmern sich um mögliche Organspenden hirntoter Patienten. Entscheidend ist dabei unter anderem ein sachkundig geführtes einfühlsames Gespräch mit den Angehörigen. Die eigentliche Organentnahme vor Ort führen erfahrene Operateure des Transplantationszentrums Rostock durch. "Dies generiert großes Vertrauen der umliegenden Krankenhäuser und damit steigt auch die Bereitschaft der nichtuniversitären Kliniken, hirntote Patienten zur Organspende zu melden", begründet Professor Klar.

Keine Dauerlösung sei laut DGCh die Lebendspende unter Angehörigen. Die Risiken einer Nierenspende sind zwar überschaubar. Die Leberlebendspende für einen erwachsenen Empfänger jedoch ist eine Operation mit der Möglichkeit schwerwiegender Komplikationen beim gesunden Spender. "Die Lebendspende ist ein verzweifelter Versuch, in der Organmangelsituation Schaden von den Patienten abzuwenden", bedauert Professor Klar. Der Weg sei jedoch falsch: Das Problem mangelnder Solidarität werde nicht gelöst, sondern lediglich in die Familien der Patienten verlagert.